Am Freitag, den 7. Februar, versammelten sich rund 4.000 Menschen auf dem Dorstener Marktplatz, um ein Zeichen für Demokratie zu setzen.
Die Kundgebung stand unter dem Motto „Wir sind die Brandmauer“ und wurde von zahlreichen Rednerinnen und Rednern begleitet.

Starke Worte von Schülern und Schulleitung
Ralf Losen und Johanna Feller vom Bündnis „Wir in Dorsten gegen Rechts“ moderierten die Veranstaltung. „Wie wir heute Abend sehen: Wir sind viele. Wir sind laut“, betonte Johanna Feller.
Auch die Bildungseinrichtungen der Stadt setzten ein Zeichen. Petrinum-Schulleiterin Vera Merge unterstrich die Bedeutung von Bildung für eine wehrhafte Demokratie. Die Schülersprecherinnen Julia Möller und Fabiana Stratulat berichteten von ihrem Engagement in der Schule. „Demokratie ist keine Zuschauerveranstaltung“, betonten sie. Stellvertretender Schulleiter Julian Hatzig appellierte: „Nutzt eure Stimme! Wer nicht wählt, überlässt anderen die Entscheidung.“

Flucht und Neuanfang
Die Journalistin Oksana Kotyliuk, die zu Beginn des Ukraine-Krieges mit ihrer Tochter nach Dorsten floh, schilderte ihre Erfahrungen. „Ich habe eine Heimat verlassen müssen, die nicht mehr sicher war“, sagte sie. Oksana Kostyliuk schilderte eindrucksvoll die Herausforderungen ihrer Flucht aus der Ukraine. „Plötzlich befand ich mich in einem Land, in dem ich niemanden kannte, dessen Sprache ich nicht sprach, dessen Regeln und Traditionen mir fremd waren.“ Sie betonte, dass sie – anders als ein Tourist oder jemand, der bewusst ein Leben in einem anderen Land wählt – gezwungen wurde, ihr Zuhause, ihre Familie, ihre Freunde und ihre Erinnerungen hinter sich zu lassen.

„Alles, was mir von meiner Heimat geblieben ist, trage ich in meinem Herzen.“ Trotz dieser Verluste habe sie in Deutschland Menschen getroffen, die sie unterstützten und ihr halfen, sich eine neue Existenz aufzubauen. „Diese Solidarität gibt mir Hoffnung, dass ich hier ein neues Zuhause finden kann.“ Heute absolviert sie eine Ausbildung zur Erzieherin in einer Dorstener Kita. Sie rief dazu auf, die Demokratie aktiv zu verteidigen. „Wir dürfen nicht passiv bleiben.“

Vielfalt im Krankenhausalltag
Karin Hallwass, Mitarbeiterin im Dorstener Krankenhaus, berichtete, dass sie bereits im Vorjahr vor 5.000 Menschen gesprochen hatte. „Ich bin stolz auf unser Dorsten, dass der Marktplatz wieder voll ist.“ In ihrem Arbeitsumfeld erlebe sie Vielfalt täglich hautnah: „Wir arbeiten mit 40 Nationalitäten friedlich unter einem Dach.“ Diese Diversität finde sich nicht nur im Kollegenkreis, sondern auch „unter unseren Patienten“.
„Wir sind die Brandmauer“
Die Bedeutung von gesellschaftlichem Engagement
Bürgermeister Tobias Stockhoff betonte in seiner Rede, dass sich gelebte Demokratie in zahlreichen Beispielen der Stadt zeige. Er hob insbesondere drei Gruppen hervor: Menschen, die sich in der Feuerwehr engagieren und unabhängig von Herkunft, Religion oder politischer Einstellung für das Leben anderer einsetzen. Menschen, die in der Dorstener Tafel aktiv sind, Lebensmittel sammeln, sortieren und ausgeben, ohne sich durch gesellschaftliche Stimmungsmache entmutigen zu lassen. Und schließlich Menschen, die sich als Trainerinnen und Trainer oder Betreuerinnen und Betreuer im Sport engagieren, um Integration zu fördern, statt Menschen auszugrenzen.

„Diese Menschen sind das Fundament unserer Demokratie“, erklärte Stockhoff. Sie seien leuchtende Beispiele für den Schutz der Menschenwürde, die Rechtsstaatlichkeit und die demokratischen Werte, die das Grundgesetz allen Bürgerinnen und Bürgern garantiert. „Es liegt an uns allen, diese Werte zu verteidigen und zu bewahren.“
Kritik an der AfD und Spaltung der Gesellschaft
Auch Herbert Rentmeister von der Dorstener Tafel warnte vor gesellschaftlichen Spaltungen. „Wir sehen, dass die Schere weiter auseinandergeht.“ Die Tafel habe sich zukunftsfähig aufgestellt, sei „mitten in die Stadt“ gegangen und habe sich vergrößert“.

Besonders scharf kritisierte er die AfD-Fraktion und ihren Vorsitzenden Heribert Leineweber. Dieser habe mit „Lüge und Boshaftigkeit“ einen Rettungsschirm für die Tafel in der Ratssitzung abgelehnt. Rentmeister bezeichnete dies als Schlag ins Gesicht der Ehrenamtlichen. Die Rede war eine direkte Anklage gegen die AfD, deren wahre Gesinnung sich hier offenbare: „Die Maske ist gefallen – diese Partei steht für nichts anderes als für Lüge und Boshaftigkeit.“ Er unterstrich, dass es nicht notwendig sei, diese Lügen zu widerlegen, da Lügen durch Wiederholung nicht wahrer wären. Die Wiederholung dieser Begriffe unterstrich die Dringlichkeit und Emotionalität seines Appells.
Dankbarkeit für einen Neuanfang
Amira Alfruh, die 2014 mit ihrer sieben Monate alten Tochter aus Syrien nach Deutschland floh, berichtete über ihren Neuanfang. Die gelernte Journalistin arbeitet heute als Lehrerin. Sie betonte, wie sehr sie die Menschen schätze, die sie aufgenommen und ihr das Gefühl gegeben haben, willkommen zu sein. „Besonders danke ich denen, die mir heute hier die Möglichkeit geben, meine Stimme zu erheben.“

„Meine Flucht war ein Schritt ins Ungewisse, doch hier habe ich erfahren, was Solidarität und Menschlichkeit bedeuten. In diesem Staat, in diesem Land bin ich Menschen begegnet, die mir ihre Hand gereicht haben.“ Sie forderte, dass diese Werte nicht als selbstverständlich angesehen, sondern aktiv verteidigt werden. Lasst uns gemeinsam für eine Gesellschaft einstehen, die Offenheit, Respekt und Menschlichkeit lebt.“
Doch sie beklagte auch Vorurteile gegen Geflüchtete: „Kaum jemand fragt, was wir durchgemacht haben.“ Sie forderte mehr Anerkennung: „Wir haben das Recht, als Menschen gesehen und anerkannt zu werden.“

„Land nicht einmauern“
Demokratie ist kein Selbstläufer
Hans Schmidt-Domogalla vom Förderverein Pro GHW sprach sich gegen Abschottung aus. betonte die Bedeutung des Engagements gegen rechte Hetze. „Es berührt mich, heute Abend vor so vielen Menschen stehen zu dürfen. Ihr seid die sichtbare Brandmauer, die den Hetzern vor Ort die Stirn bietet. Danke für euren Einsatz für ein friedliches, demokratisches Zusammenleben – weltoffen, solidarisch und respektvoll.“

Er kritisierte scharf, dass rechte Kräfte es geschafft hätten, den Wahlkampf mit ihren Themen zu dominieren. „Es ist unerträglich, dass die rechten Antidemokraten unser Land schlechtreden und eine Krise herbeifantasieren. Währenddessen werden die wirklichen Herausforderungen – die Klimakrise, Krieg und Umweltzerstörung – an den Rand gedrängt.“
Besonders fatal sei es, so Schmidt-Domogalla weiter, wenn auch demokratische Parteien sich darauf einließen, den rechten Populisten nachzueifern. „Wir dürfen nicht zulassen, dass Hass und Spaltung die Oberhand gewinnen. Es liegt an uns, die Demokratie aktiv zu verteidigen.“
„Die beste Brandmauer nützt nichts, wenn auf der sicheren Seite Feuer gelegt wird.“

Ella Tüshaus vom Bündnis „Wir in Dorsten gegen Rechts“ machte deutlich, wie emotional die aktuelle politische Lage ist. „Was heute hier und in vielen anderen Städten geschieht, ist bewegend. Danke, dass ihr da seid!“ Sie betonte, dass ihre Generation in einer Demokratie aufgewachsen sei, in der Meinungsfreiheit und Wahlen als selbstverständlich galten. „Doch Demokratie ist nicht angeboren, sondern ein Glücksfall. Sie ist zerbrechlich und bröckelt mehr denn je.“
Warnung vor rechten Strategien
Sie warnte vor der Strategie der AfD, die insbesondere junge Menschen mit scheinbar einfachen Antworten anspreche. „Unter dem Deckmantel der Demokratie gibt sie Orientierungslosen vermeintliche Sicherheit.“ Besonders besorgt zeigte sie sich über die Annäherung der Union an die AfD. „Der höchste Punkt dieser Unterwanderung war erreicht, als Friedrich Merz seine Brandmauer fallen ließ und gezielt Mehrheiten mit der AfD suchte.“ Ihr Appell: „Wir müssen wachsam sein und unsere Demokratie verteidigen.“

Abschluss der Kundgebung
Zum Abschluss der Kundgebung während des von Thorsten Huxels Song „Wir werden leuchten“, erstrahlte der Marktplatz im Licht von Taschenlampen und Handys. Eine spontane Gegendemonstration gegen „Hass, Hetze und die Bundespolitik von AfD und CDU“ fand hingegen kaum Resonanz.