Von Schadenfreude über gefallene Masken
Trash-TV boomt. „Nackedei-Eiland“, „Gestrandet unter Palmen“ oder „das Gästehaus der Vergessenen“, Trash-Serien schießen wie Pilze aus dem Boden. Gerade lief die eine Sendung aus, da kündigt sich bereits die nächste an, wie ich mit Schrecken in der TV-Vorschau sehen konnte.
Ich kenne diese Sendungen nur vom schnellen Umschalten und bin sicherlich auch kein eingefleischter Dschungelcamp-Zuschauer, aber ich muss gestehen, mit gewissem zeitlichem Abstand schalte ich die Mutter aller Trash-Serien trotzdem ein. Allerdings nehme ich dann vor der Sendung ab 18 Uhr vorsichtshalber keine feste Nahrung mehr zu mir. Sicher ist sicher.
Aber warum schalte ich überhaupt ein? Weil ich schadenfroh bin! So, jetzt ist es raus.
Die Maske fällt beim Trash-TV schnell
Ich liebe es zuzusehen, wie bei den Teilnehmern der Reality-Shows die so oft zitierte Maske fällt. In Trash-Serien fällt sie bereits nach den ersten Wissensfragen. In Isolationshaft fällt sie optisch nach zwei Tagen oder nach der ersten Prüfung, die mich an einen Kindergeburtstag erinnert. Das sorgfältig über zwei Nächte hinweg gerettete Make-up setzt sich bei Männern und Frauen gleichermaßen so stark in den tiefen Falten der fahlen Haut ab, die sich aufgrund von zahlreichen Feten, Schlafentzug, Alkohol und Nikotin extrem schnell gebildet hat und nun zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit wieder frische Luft fühlt. Extensions bleiben in den Ästen hängen und offenbaren den jämmerlichen Rest einer ehemaligen Frisur. Stiletto-Nägel brechen ab und geben den Blick auf abgekaute Fingernägel preis. Ausgefallene falsche Wimpern lassen das Auge aussehen, als hätte dort ein Vogel sein Nest zerstört und es dann fluchtartig verlassen.
Trash-TV macht mich schadenfroh
Warum bin ich einer von vielen Millionen Zuschauern bei Shows mit „Ich-habe-ja-sonst-nix-gelernt-Menschen“ sowie Stars und C-Promis, die entweder vor gefühlten hundert Jahren in der Öffentlichkeit standen oder es nie nach oben schaffen werden? Warum erfreue ich mich daran?G anz ehrlich? Weil ich diese Leute nicht leiden kann. Und die ganzen Shows nicht. Und die Konzepte dahinter erst recht nicht. Weil ich nicht verstehen kann, wieso diese hausgemachten Möchtegern-Sternchen durch jeden Haussender gereicht werden und den jüngeren Zuschauern ständig falsche Werte vermittelt werden.
Früher, ja früher, da zählte noch, was Frau oder auch Mann konnte. Da zählten in der Bewerbungsmappe noch erreichte Schulabschlüsse und nicht die Anzahl der Reality-Shows an denen man teilgenommen hat. Heute hingegen wird man ein Star, wenn man für Geld Lügen verbreitet, wenn nicht ein einziges Fremdwort im Vokabular der „Diggas“ vorkommt und wenn ein mittelmäßiger Ex-Sportler außer Schreien und einem stumpfsinnigen Blick nichts zu bieten hat. Wie denn auch, wenn das eingebaute Megafon im Kopf fast den gesamten Raum fordert? Dicke Lippen und dicke Oberarme zählen heutzutage leider immer öfter mehr als Intelligenz, Erziehung und ein gewisses Maß an Empathie.
Kopf hoch Mädchen
Ich fühle mich einfach normaler, wenn ich sehe, wie der herumgereichte, ach so perfekt gestylte und operierte Nachwuchs immer mehr Schwächen und somit hoffentlich den Zuschauern damit zeigt: „Hey, seht her, wir sind gar nicht so toll, wir sind eine Zeit lang aktuell und verschwinden dann wieder in der Versenkung. Macht es nicht so wie wir. Macht es besser. Lernt. Bildet euch weiter. Vergesst die Gossensprache.“
Normaler fühle ich mich auch, wenn ich sehe, dass Models nach drei Tagen ohne professionelles Styling nach Spiel-Niederlagen in einem Zustand zu sehen sind, wie wir Menschen nun mal halt aussehen: nicht perfekt, sondern mit Macken und Fehlern. Ich möchte dann am liebsten zu ihnen hingehen, sie trösten und ihnen sagen: „Kopf hoch Mädchen, es kann halt nicht jede von Natur aus so schön sein, um ein Supermodel zu werden. Und es kann auch nicht jeder so klug sein, um ein zweiter Einstein zu werden.“ Und damit breche ich auch jetzt eine Lanze für alle anderen Frauen auf der Welt: „Wir sind schön! Und klug! Jede auf ihre Art!“
Trash-TV zeigt gescheiterte Existenzen
Aber es sind ja nicht nur Models und „Influenza“ in den Shows, die jeweilige Liste der Teilnehmer im Sammelbecken der gescheiterten Existenzen ist so lang, sodass für jeden etwas dabei ist: Die Heulsuse, die jeden um den letzten Rest Verstand bringt, das naive Blondchen, das deutsche Sprache und Grammatik aufs Grausamste vergewaltigt und ich dabei jedes Mal stark an unserem Schulsystem zweifeln muss, ein Latin Lover für Arme, ein aufgepumpter Bodybuilder mit einem Ganzkörper-Tattoo, damit die Mädels auch etwas zu lesen haben, ein homosexueller Mann, der alle, aber auch wirklich alle Klischees erfüllt, die man so im Kopf hat und für die Halbwüchsigen am Bildschirm, die auf blitzende Nippel warten, gibt es eine selbst ernannte Sex-Expertin, die gerade mal 19 Jahre alt ist.
Die verständnisvolle Seite wird von unscheinbaren C-Promi-Müttern vertreten, der etwas andere Sport von Porno-Omas mit Brüsten einer 25-Jährigen, bei der das Geld offensichtlich aber nicht mehr für Gesicht und Oberarme gereicht hat. Dazu gesellt sich ein älterer Herr, der nun noch einmal so richtig aufblüht. Fehlt noch jemand? Ach ja, eine weitere Schlauchbootlippe und ein unbekannter junger Mann, die jemanden kennen, der jemanden kennt, der Kontakt zu jemandem hat, der Kontakte zur RTL-Kantinenbedienung hat. Was sie beruflich machen, wissen sie sicher auch nicht so ganz genau. Das spielt auch keine Rolle, wahrscheinlich sind sie Model oder Influencer.
Ich weiß, ich sollte solidarisch mit meinen Geschlechtsgenossinnen sein. Das mache ich normalerweise ja auch, aber nicht mit Kunstfiguren, die ich nicht erst nehmen kann. Daher mein Fazit: Die Gag-Schreiberinnen des Dschungelcamps, die sind absolut genial. Über die Gag-Autoren der restlichen Serien im Trash-TV kann ich nichts sagen, die kenne ich ja nicht.
In diesem Sinne: bis 2022, bis zur Mutter aller … na ihr wisst schon.