Schrille Sirenen gellen durch den Leitstand, überall blinken Warnlichter: Solche Situationen möchte man in einem Atomkraftwerk nicht erleben. Für den Notfall wurden die Mitarbeiter aber im Simulatorzentrum Essen geschult. Nach dem Aus für die Kernenergie in Deutschland ist es damit so gut wie vorbei. Dorsten-Online durfte sich noch einmal umsehen.
Die Kühlwassertanks sind leer, die Netzeinspeisung ausgefallen, und nun platzt auch noch eine Dampfleitung: Wenn die Ausbilder Anlagenfahrer ins Schwitzen bringen wollten, konnten sie das im Simulatorzentrum in Essen jahrzehntelang tun. Ab 1977 wurden hier jedes Jahr rund 1500 Kursteilnehmer aus acht verschiedenen Kernkraftwerken geschult. Sechs Simulatoren bildeten jeden Leitstand bis auf die kleinste Anzeige detailgetreu nach, und sämtliche Betriebssituationen und Störungen ließen sich so proben.
Damit ist es bald vorbei. Nur noch ein Simulator ist im Betrieb, und auch dieser wird bald außer Dienst gestellt. „Wir hatten ihn schon Museen angeboten“, erklärt Dr. Matthias Aleff, „aber der Unterhalt ist zu teuer. Daher wird der Simulator wohl verschrottet werden“. Bevor es soweit ist, hatte der Wissenschaftler aus Dorsten aber noch einmal zu einem Besuch eingeladen. Als Abteilungsleiter in der Gesellschaft für Simulatorschulung führte er die Gäste von Dorsten-Online durch das weitläufige Simulatorzentrum.

Weltweit einzigartige Modelle im Simulatorzentrum
Anhand von Modellen erklärte der Ingenieur, der sich auch im Dorstener Rotary-Club engagiert, die Funktionsweise eines Kernkraftwerks. Die hochkomplexe Technik, die mit unsichtbarer Radioaktivität mächtige Turbinen antreibt, um ganze Metropolen zu beleuchten, ist für Laien nicht einfach zu verstehen. Aber auch Experten, die solche Anlagen bedienen durften, mussten ständig geschult und auf unerwartete Situationen vorbereitet werden. Um etwa der Dampfkreislauf in einem funktionsfähigen Modell darstellen zu können, war ein gigantischer Aufwand nötig. „Unser Modell ist im Maßstab eins zu zehn und das einzige funktionierende Modell seiner Art auf der Welt“, sagt Matthias Aleff stolz. „In Korea hatte man versucht, es nachzubauen, war aber an der Funktionsfähigkeit gescheitert“, erklärt er. Rund eine Million Deutsche Mark waren seinerzeit in das Projekt geflossen.

Auf dem Leitstand in die Katastrophe
Das Highlight des Besuches war aber natürlich der voll funktionsfähige Leitstand-Simulator. Schon heute ist er ein echtes Stück Technikgeschichte. Hier durften die Gäste einmal ausprobieren, was verschiedene Störfälle in einem echten Kernkraftwerk ausgelöst hätten. Für die Laien zog Matthias Aleff einmal sämtliche Register. „Wir fahren die Anlage jetzt einmal richtig gegen die Wand“, sagte er schmunzelnd und bekräftigte sofort, dass es eine derartige Häufung von Störungen in einem deutschen AKW mit fast völliger Sicherheit nie hätte geben können. Dennoch konnten die Besucher von Dorsten-Online eine gewisse Gänsehaut nicht verleugnen, als auf einmal die Sirenen losschrillten und eine ganze Armee von Warnlampen zu blinken begann.

Doch auch wenn sich die Gäste redlich bemühten, eine Situation wie in Tschernobyl oder Fukushima konnten sie nicht herbeiführen. „Die Anlage ist jetzt ein Totalverlust“, sagte der Experte zum Abschluss, „aber Strahlung ist nicht ausgetreten.“ Dennoch: Zum Glück war es nur eine Simulation.
Das Aus für die Atomkraft in Deutschland ist aber nicht das Ende für die Arbeit von Dr. Matthias Aleff, im Gegenteil. Der Ingenieur, der in Medizintechnik promoviert hat, ist auch ein anerkannter Fachmann für eine ganz andere Art von Energie. In seinen Schulungen lehrt er nämlich Führungskräfte, wie sie Teams anleiten und die Zusammenarbeit verbessern können. Und dazu braucht man im Idealfall auch keinen AKW-Simulator.