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Novemberpogrome: “Reichskristallnacht” traf unschuldige Dorstener

Veröffentlicht am

Auf der Straße bespuckt, aus ihren Häusern gezerrt, ihre Wohnungen in Brand gesteckt: Am 9. November 1938 fiel ein entfesselter Mob überall in Deutschland über seine jüdischen Mitbürger her. Szenen wie aus einem Alptraum spielten sich während der Novemberpogrome auch in Dorsten ab.

Mit Fackeln zogen aufgestachelte Dorstener zum jüdischen Gemeindehaus an der Wiesenstraße, rissen die Einrichtung heraus und schleppten wertvolle religiöse Gegenstände, Kleidung und Möbel auf den Marktplatz, wo sie alles unter Johlen verbrannten. Das Gemeindehaus selbst wurde nur deswegen nicht selbst angezündet, weil die Nachbarhäuser sonst Feuer gefangen hätten. Angeführt wurde der Mob von SS-Leuten, aber auch Jugendliche in HJ-Uniformen und Zivilisten beteiligten sich an dem Verbrechen.

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An der Essener Straße und in der Lippestraße schlugen die Täter die Scheiben jüdischer Geschäfte ein. Die entsetzten Inhaber flüchteten mit ihren Familien aus ihren Wohnungen zur Dorstener Polizei. Diese verhaftete jedoch nicht die Täter, sondern die Opfer.

Auch in den umliegenden Gemeinden tobte der Mob. SA-Leute in Wulfen trieben eine hilflose Frau, die Kleider halb vom Leib gerissen, unter Schlägen und Erniedrigungen aus dem Ort. Später rühmte man sich in Wulfen, in dieser Nacht begonnen zu haben, den Ort “judenfrei” zu machen.

Zu den Opfern gehörte auch die Familie Lebenstein aus Lembeck. Sie wurden umgebracht oder vertrieben. “Was haben wir nur gemacht, dass man so mit uns umgeht?”, sagte Bertha Lebenstein kurz vor ihrer Verschleppung. Foto: Dorsten unterm Hakenkreuz

Nachbarn wurden zu Tätern

Als am Morgen nach der Nacht, in der Nachbarn zu Tätern wurden, das zersplitterte Glas in ganz Deutschland auf den Bürgersteigen schimmerte, war der höhnische Begriff von der „Reichskristallnacht“ schnell geboren. Doch niemand bestrafte die Täter. Vielmehr nutzten die Nazis das Attentat auf einen Botschafter durch einen jungen Juden, dessen Eltern man enteignet und nach Polen deportiert hatte, als Vorwand, um den Opfern die Schuld zuzuschieben. So hieß es in der Dorstener Volkszeitung am 11. November 1938: „Der ruchlose Mord an dem Gesandtschaftsrat von Rath durch einen Juden löste auch hier in Dorsten Stürme der Entrüstung und der berechtigten Empörung aus. Die Polizei sah sich schließlich genötigt, die hier im Amtsbezirk wohnenden Juden im Interesse ihrer eigenen Sicherheit in Schutzhaft zu nehmen.“

Schutzhaft war dabei die beschönigende Festnahme unschuldiger Bürger, die erst dann aus der Haft kommen konnten, nachdem sie ihr Hab und Gut zu Schleuderpreisen an sogenannte „Arier“ verkauft hatten. So ging es auch den Familien in Dorsten, denen man so ihre Lebensgrundlage nahm. Auf diese Weise bereicherten sich viele Menschen auf Kosten der Opfer, denen man nicht nur Häuser und Geschäfte genommen hatte, sondern die auch noch für die ihnen angetanen Schäden an die Täter bezahlen mussten.

Mord, Vandalismus, Verhaftungen und Enteignungen

Während und unmittelbar in Folge der Ausschreitungen starben hunderte Menschen. Mindestens 1.400 Synagogen in Deutschland und Österreich wurden stark beschädigt oder ganz zerstört. Tausende Geschäfte wurden geplündert, beschädigt oder komplett demoliert. Über 30.000 Juden wurden in die Konzentrationslager Dachau, Sachsenhausen und Buchenwald verschleppt.

Drei Jahre nach den Novemberpogromen begann der Holocaust

Die Novemberpogrome stellten eine neue Stufe der systematischen Unterdrückung und Verfolgung jüdischer Menschen in Deutschland dar. Erstmals war die umfassende Ausgrenzung in organisierter Gewalt eskaliert. Drei Jahre später begann mit dem Holocaust die geplante Ermordung der europäischen Juden.

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