Vor rund 60 Jahren wurde auf dem Dorstener Marktplatz ein ungewöhnlicher Brunnen errichtet. Die Künstlerin, Tisa von der Schulenburg, wollte ihrer neuen Heimatstadt ein Geschenk machen. 2020 wurde er abgebaut. Nun ist er neu entstanden.
Ein bewegtes Leben wird vielen Menschen attestiert, aber nicht bei vielen ist es so voller Wendungen und Widersprüche verlaufen, wie bei Tisa von der Schulenburg. 1903 wurde sie als Elisabeth Karoline Mary Margarete Veronika Gräfin von der Schulenburg in ein mecklenburgisches Adelsgeschlecht geboren. Sie genoss eine strenge preußische Erziehung. Während der Vater Friedrich und die älteren Brüder in den Ersten Weltkrieg zogen, begann sich Elisabeth aber immer mehr für die Kunst zu interessieren. Sie nahm als junge Teenagerin Zeichenunterricht und lernte sogar bei einem Möbeltischler, wie man Holz künstlerisch bearbeiten kann.
Vater hatte kein Verständnis für die Tochter
Der Vater, der nach dem verlorenen Krieg und der Abdankung des Kaisers 1919 enttäuscht heim gekommen war, hatte kein Verständnis für die Vorlieben seiner Tochter. Als sich die 16-jährige Elisabeth bei niemand Geringerem als Max Liebermann, einem der bedeutendsten deutschen Impressionisten, vorstellte und er ihr das nötige Talent bescheinigte, an der Berliner Akademie der Künste zu studieren, lehnte der Vater das barsch ab. Erst 1925 willigte er ein, und Elisabeth begann ihr Studium der Bildhauerei. Während die Tochter das freizügige Leben in den Goldenen Zwanzigern auskostete, radikalisierten sich ihr Vater und einige ihrer Brüder immer mehr.
Tisa verlor ihre Familie im Krieg
Friedrich machte Karriere erst in der Deutschnationalen Volkspartei, dann später in der NSDAP, trat der SA und später der SS bei. Auch die Brüder Wolf-Werner und Adolf-Heinrich wurden stramme Nazis und SA-Leute. Elisabeth hingegen heiratete einen jüdischen Kaufmann und emigrierte bereits 1933 nach England.
Kurz vor Kriegsausbruch kehrte Elisabeth noch einmal nach Deutschland zurück, um ihren sterbenden Vater zu besuchen. Ausreisen durfte sie aber nicht mehr, und so musste sie den Krieg in Deutschland verbringen. Ihre beiden älteren Brüder fielen im Krieg, und der jüngere Bruder Fritz-Dietlof wurde als Widerstandskämpfer hingerichtet. Als einziges Familienmitglied erlebte Elisabeth die Niederlage des Dritten Reiches, und verbrachte die unmittelbare Nachkriegszeit an verschiedenen Orten und in verschiedenen Anstellungen.

Neue Heimat im Ursulinen-Kloster
Eine neue Heimat fand Elisabeth erst 1948, als sie begann, künstlerische Arbeiten für die kriegsversehrten Dorstener Kirchen und das Kloster herzustellen. 1950 trat sie als Schwester Paula in das Ursulinen-Kloster ein und unterrichtete bis 1962 als Kunstlehrerin an der St. Ursula Realschule und am Gymnasium. Sie engagierte sich stark für sozial benachteiligte Bergleute und Arbeitslose. Unter ihrem Künstlernamen Tisa schenkte sie in diesem Jahr einen besonderen Brunnen für den Marktplatz.
Der Brunnen gehörte seit 1962 zum Stadtbild
Der Tisa-Brunnen war von künstlerisch gestalteten Betonplatten umkleidet, die Szenen aus der Geschichte Dorstens zeigten. Hier fanden sich die Römer ebenso wieder wie die Hanse. Auf den Platten wird über die Stadtrechtsverleihung wie auch die zahlreichen Kriegswirren berichtet. Sogar die Rückkehr der letzten Kriegsgefangenen nach dem zweiten Weltkrieg findet hier Erwähnung.

Fast sechs Jahrzehnte lang gehörte der Tisa-Brunnen zum gewohnten Stadtbild in Dorsten. Auch „Schwester Paula“, wie sie die Bergleute und viele ihrer ehemaligen Schüler noch nannten, kam hier bis zu ihrem Tod 2001 oft vorbei. So war es nicht verwunderlich, dass im Frühjahr 2020 um den Abbau des mittlerweile stark verwitterten Brunnens im Zuge des Altstadtumbaus erbittert gestritten wurde. Schließlich fand man eine Lösung: Die Tafeln fanden gemeinsam mit dem künstlerische Nachlass Tisa von der Schulenburgs im Tisa-Archiv an der ehemaligen Zeche Fürst Leopold eine neue Heimat.
Bürgerschützen ermöglichen neuen Tisa-Brunnen
Dass der Tisa-Brunnen jetzt als Kopie neu entstanden ist, verdankt die Stadt einer Initiative des Allgemeinen Bürger-Schützen-Vereins Dorsten. Die Altstadtschützen brachten die Hälfte der 101.150 Euro für den Neubau auf. Den Rest übernahm der Altstadtfonds aus dem Projekt „Wir machen MITte“. Die benötigte Pumpentechnik ist beim anliegenden Optiker „Schulte-Repel“ im Kellerraum untergebracht. Dieser hat die Übernahme der Betriebskosten für die kommenden zehn Jahre zugesagt. Eine Pflegepartnerschaft, beispielsweise die Reinigung von Laub, übernimmt die katholische Kirchengemeinde St. Agatha. Am 30. April ist die offizielle Einweihung – dann hat Dorsten wieder einen funktionierenden Tisa-Brunnen.