10 Jahre Mittagstisch in der Altstadt – Jüngstes Kind der Dorstener Tafel feiert Geburtstag.
Dorsten. Der Speisesaal am Mittwoch im Pfarrheim von St. Agatha in der Altstadt ist voll. Zweimal die Woche kommen bedürftige Menschen hierhin, um eine warme Mahlzeit zu bekommen. So auch an diesem Geburtstag.
Schon vor der regulären Öffnungszeit stehen einige Gäste draußen vor der Tür und warten geduldig, bis sich die Türen zum Speisesaal öffnen. Neugierig kommen sie dann um kurz nach 12 Uhr ins Pfarrheim St. Agatha. „Hmm, wonach riecht´s denn heute?“, fragen sie verwundert.

Rouladen-Topf mit Klößen und Rotkohl
Heute, zum Jubiläumstag, gab es etwas Besonderes. Zwischen Vorsuppe und Vanillepudding als Nachtisch boten die Küchenfeen ihren Gästen einen Rouladen-Topf mit Klößen und Rotkohl an. Ein Spezial-Geburtstagsmenü, das auch Bürgermeister Stockhoff, Schirmherr der Tafel und Gratulant, beim gemeinsamen Essen und im Gespräch mit den anderen Gästen sichtlich mundete. „Solch eine Hauptspeise gibt es aber nur zu Weihnachten und zum Jubiläum“, betonte Ingrid Winkel lachend, „üblich ist da eher ein schmackhafter Eintopf mit weniger Fleisch.“

Das Essen ist fertig. Darauf freuten sich: Pfarrer von St. Agatha Ulrich Franke (l.), Bürgermeister Tobias Stockhoff, Vorsitzender Herbert Rentmeister, Anne Monheim (r). sowie eine ehrenamtliche Helferin.
Gemüse im Winter ist Mangelware
Zwar gebe es wenig Fleisch, wenn es hochkommt vielleicht eine halbe Mettwurst, dafür sei aber das Essen immer ausgewogen an Vitaminen, erklärt der Vorsitzende Herbert Rentmeister. „Besonders im Sommer, wenn die Marktstände uns am Ende ihr restliches Obst und Gemüse spenden. Im Winter ist Gemüse eher Mangelware.“ Dennoch verstehen es die Frauen der Kochteams, aus dem, was da ist, ein abwechslungsreiches Mittagessen herzustellen.
Hungrig geht keiner nach Hause
Jeden Mittwoch und Freitag kochen etwa 25 Frauen in vier Teams im Wechsel für Menschen, die sich aufgrund finanzieller oder anderer Notsituationen kaum eine warme Mahlzeit leisten können. Ein Euro kostet das Essen, nach Vorlage des Dorsten-Passes, für Erwachsene. Kinder zahlen die Hälfte. Aber wenn am Ende des Geldes noch viel Monat übrig ist, ist auch dieser symbolische Beitrag noch viel: „Keiner muss hungrig nach Hause gehen!“, sagt Ingrid Winkel. Sie ist seit gut einem Jahr Nachfolgerin von Anne Monheim in der Rolle der Koordinatorin des Mittagstischs.

Staat kann nicht alles regeln
Neugierig schaut Bürgermeister Stockhoff in die Töpfe. Er findet das Engagement auf allen Ebenen der Tafel herausragend. Egal ob im Kinderladen, im Laden oder beim Mittagstisch. Ein Angebot der Nächstenliebe mit viel Seele. „Allerdings muss man natürlich sagen, am besten wäre es, wenn wir die Tafeln gar nicht brauchen würde, aber ein Staat kann an vielen Stellen nicht alles regeln“, so Stockhoff.

Es sei deshalb gut, dass es Menschen gibt, die versuchen, die Lücken, die es bei Gesetzen und bei Sozialleistungen gibt, aufzufüllen. „Ein weiterer wichtiger Punkt ist auch, dass es hier nicht nur ums Sattwerden geht, sondern auch darum, einmal in der Woche ein vernünftiges, gesundes Essen zu bekommen. Und das ist ja heute leider bei vielen Menschen nicht mehr der Fall“, so Stockhoff. Die Gründe hier seien unterschiedlich. Zum einen, weil es sich viele Menschen nicht leisten können, aber auch, „weil man es nicht selber herstellen oder kochen kann. Deshalb ist dies ein weiterer Aspekt, den ich gar nicht gering schätzen möchte an dieser Stelle“.
Kleine Rente
Hunger stillen ist das eine, dem Bedürfnis nach sozialen Kontakten einen Raum geben, ist das zweite, nicht weniger wichtige Ziel dieser Einrichtung.
Lecker Essen und in einem Kreis, wo sich niemand ausgegrenzt fühlt. Das sei sehr schön, sagte eine Frau aus Hervest. Regelmäßig seit zehn Jahren besucht eine 70-jährige Dorstenerin den Mittagstisch. „Wenn Miete und Strom von meiner kleinen Rente abgezogen werden, dann bleiben mir gerade mal 370 Euro übrig. Das ist schon sehr knapp für einen Monat und so sind dann auch die Schuhe für fünf Euro aus der Kleiderkammer schon fast zu teuer“, gesteht sie.

Herzliche Atmosphäre
„Das Essen ist hervorragend. Zwar kann man nicht immer den Geschmack von allen treffen, aber es ist sehr gut abgestimmt. Für mich ist diese Einrichtung sehr wertvoll“, erzählt ein 55-Jähriger. Er habe psychische Probleme, wenig Geld und kann aufgrund seiner Erkrankung nicht mehr selber kochen. Besonders aber gefalle ihm die Atmosphäre, die, wie er sagt, „nie aggressiv und immer sehr herzlich sei“.
100 Euro im Monat
Und auch der Mann aus Hervest lobt das Essen. Der 68-Jährige habe, wie er gesteht, trotz seiner zwei kleinen Nebenjobs nur rund 100 Euro im Monat übrig. „Da kommt zweimal die Woche so eine warme Mahlzeit schon gut an“, sagt er lachend.

Gründung 2004
Seit 2004, kurz nach der Gründung der Tafel, bot die Dorstener Tafel einen Mittagstisch in Wulfen-Barkenberg an. Anfangs im ‚Café Pott‘ im Jugendheim der Barbara-Kirche, ab März 2007 in den Räumen am Handwerkshof. Dieser ‚Barkenberger Mittagstisch‘ musste im Dezember 2013 eingestellt werden, „schweren Herzens“, wie Herbert Rentmeister, Vorsitzender des Dorstener Tafel e. V. betont. „Bei im Schnitt nur sechs oder sieben Gästen war der Aufwand nicht mehr vertretbar“.
Auf der anderen Seite der Lippe beobachtete Pfarrer Franke von der Gemeinde St. Agatha die Entwicklung der Sozialstruktur im Bereich der Altstadt sehr genau und regte 2008 einen ‚Mittagstisch Altstadt‘ an, der dann am 18. Februar 2009 erstmals im Pfarrheim St. Agatha ein Mittagessen anbot.
Plausch bei Kaffee
Später am Nachmittag, als gespült und die Küche wieder hergerichtet war, setzten sich die Damen (und ein paar Herren), die früher und aktuell beim Mittagstisch ehrenamtlich engagiert waren und sind, zu einem gemütlichen Plausch bei Kaffee und Kuchen und einem Gläschen Jubiläumssekt zusammen.
von: Petra Bosse