Tobias Stockhoff im Jahresinterview – Teil 2: Schwarze Null, Nachhaltigkeit und der Bürgermeister
DorstenOnline spricht mit dem Bürgermeister über das abgelaufene Jahr und wagt einen Ausblick auf 2022 – über den ausgeglichenen Haushalt, bessere Bildungschancen, Mobilität, Klimaschutz und auch den Privatmenschen Tobias Stockhoff.
Teil 1: Corona, Ruhepole und der Privatmensch

Herr Stockhoff, das Jahr 2021 war auch in Dorsten sehr ereignisreich. Was war Ihr politisches Highlight als Bürgermeister?
Eindeutig der Haushalt 2022, den der Rat einstimmig verabschiedet hat. Ein Haushalt, der uns nach 30 Jahren die Chance gibt, aus der Haushaltssicherung rauszukommen. Und der nach Sparjahrzehnten, unter denen alle Bürgerinnen und Bürger, Kolleginnen und Kollegen in der Verwaltung und auch Vereine gemeinsam gelitten haben, wieder Handlungsspielräume einräumt. Darauf dürfen wir als Stadtgesellschaft stolz sein.
…und können als Stadtgesellschaft jetzt finanziell wieder aus dem Vollen schöpfen?
Keinesfalls. Wie gesagt: wir haben Handlungsfreiheit gewonnen, stehen aber trotzdem immer noch bei einer Schuldenlast von 220 Millionen Euro. Das waren aber auch mal 330 Millionen Euro.
Den konsequenten Weg des Schuldenabbaus wollen wir beibehalten. Das ist ein wichtiges Ziel für nachfolgende Generationen.
Und die erwähnten Handlungsspielräume?
…wollen wir in erster Linie für die Bereiche Bildung, Umwelt–, Natur– und Klimaschutz sowie Digitalisierung nutzen. Jeder kleine Überschuss soll dafür eingesetzt werden.
Sie beziffern den Investitionsstau in der Stadt mit einer dreistelligen Millionensumme. Den wird man nicht mit kleinen Überschüssen beheben können.
Dieser Investitionsstau hat sich in drei oder vier Jahrzehnten aufgebaut. Meistens handelt es sich um längst überfällige Sanierungsmaßnahmen. Diesen Stau können wir nicht in drei, vier Jahren abbauen.
Aber die Bürgerinnen und Bürger sehen: Wenn Sanierungs- und Investitionsbedarfe da sind, gehen wir diese im Rahmen der finanziellen und personellen Ressourcen an. Eben im Rahmen unserer jetzt wieder größer gewordenen Handlungsspielräume.
Alle Welt redet vom Klimaschutz. Sie haben Bildung bzw. Kinder und Jugendliche auf Ihrer politischen Agenda ganz nach oben gesetzt. Wie passt das zusammen?
Deutschland ist ein relativ rohstoffarmes Land. Unser Kernrohstoff ist die Bildung. Und von der hängt auch die ökologische Wende ganz maßgeblich ab. Wir müssen die Menschen durch Umweltbildung abholen. Die findet bei uns in erster Linie in den Schulen statt. Dort liegen die Wurzeln für ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit, für ein gutes gesellschaftliches Miteinander. Dafür sind wiederum gute Lernbedingungen wichtig. Und die können wir als Stadt beeinflussen, etwa durch sanierte Schulgebäude und gute digitale Ausstattung.
Heißt konkret was?
Dass wir unsere Kindergärten und Schulen sanieren und modernisieren müssen. Viele stammen noch aus den 1960er- und 1970er-Jahren. Ich möchte, dass wir in drei bis vier Jahren 75 bis 80 Prozent der Grundschulkinder einen OGS-Platz anbieten können. Auch das gehen wir sukzessive an. Die Beispiele Agathaschule und Grüne Schule zeigen, dass wir da auf einem guten Weg sind.
Dazu gehören aber auch Kinderspielplätze, von denen wir in Dorsten sehr viele haben. Einige werden wir aufgeben müssen, um andere attraktiver zu gestalten und neu zu bauen. Aktuelle Beispiele dafür sind der Wasserspielplatz im Bürgerpark und der Spielplatz am Friedensplatz.
Nun lässt sich das Klima nicht nur durch bessere Bildung retten. Wie könnte eine Mobilitätswende in Dorsten aussehen?
Wir müssen dabei bedenken, dass Dorsten eine Flächenstadt ist. Wenn ich im Zentrum bei den Bussen einen 10- oder 15-Minuten-Takt anstreben würde, kann ich das nicht auf Deuten oder Östrich übertragen. Verkehrsexperten raten uns, dass die Menschen in jedem Stadtteil eine diskriminierungsfreie und gleichberechtigte Auswahl zwischen mindestens zwei Verkehrsmitteln haben sollten. Für Deuten könnten das die gute Bahnanbindung und der Individualverkehr sein, für die Innenstadt zum Beispiel das Fahrrad und der ÖPNV.
Klingt nach vielfältigen Planungen.
…für die wir mit den Menschen ins Gespräch kommen wollen und müssen. Die Stadt muss planerische Rahmenbedingungen setzen. Aber im Vorfeld muss der Dialog über die Bürgerbeteiligung stehen.
…bei dem viele unterschiedliche Sichtweisen und Bedürfnisse aufeinandertreffen dürften.
Es gibt halt keine Eierlegende Wollmilchsau, dafür müssen wir die Menschen sensibilisieren. Ein Pro auf der einen Seite bedeutet auch fast immer ein Kontra auf der anderen. Die Menschen haben gerade beim Thema Mobilität unterschiedliche Bedürfnisse. Aber ohne Dialoge und Kompromisse kann es keine ökologische Mobilitätsentwicklung geben. Auch wenn die dann für jeden Einzelnen teils Einschränkungen, teils Bevorzugungen bedeuten werden. Wir werden kreative Lösungsansätze finden.
Viele sehen einen kreativen Lösungsansatz im kostenlosen Öffentlichen Nahverkehr. Sie auch?
Nicht im komplett kostenlosen ÖPNV. Dafür müsste eine Stadt wie Dorsten die Grundsteuer erheblich erhöhen. Das halte ich nicht für machbar. Interessanter ist da schon das Beispiel Rom. Dort sind die Bus- und Bahnfahrten verhältnismäßig günstig.
Rom also ein Vorbild für Dorsten?
(lacht)… Wir werden kreative Lösungsansätze finden.
Auch beim Ausbau des Radwegenetzes?
Wir wollen kein Stückwerk. Wenn eine Straße saniert werden muss, werden wir auch Fahrradspuren herstellen. Das ist kosteneffizienter und so machen wir die meisten Meter.
Wie oft ist der Bürgermeister auf der Fahrradspur unterwegs?
Zu selten. Viele meiner Termine sind überall im Stadtgebiet verteilt. Und von Altendorf-Ulfkotte nach Lembeck mit dem Fahrrad – das sind 20 Kilometer. Das würde meiner Gesundheit gut tun, aber ich könnte weniger Termine wahrnehmen. Ich kompensiere das, indem ich unsere Partnerstädte mit dem Rad besuche. Also mit dem E-Bike… (lacht)
Und wann besteht die Stadtflotte nur noch aus E-Autos?
Wir haben für die großen Rasen- und Parkflächen schon einen E-Rasenmäher angeschafft. Der Dienstwagen des Bürgermeisters ist aktuell noch der sparsamste Diesel, weil er tatsächlich ökologisch gesehen noch die beste Gesamtbilanz hat. Das sage ich alsPhysiker, der in der Batterienforschung gearbeitet hat. Aus meiner Sicht wird dem Wasserstoffauto daher auch die Zukunft gehören. E-Autos sind eine Brückentechnologie bzw. dauerhaft sinnvoll für eher kürzere Strecken.
Zum Abschluss: Was ist Ihr größtes Ziel für 2022?
Dass aus den gesellschaftlichen Diskussionen ein bisschen Dampf rausgenommen und das gemeinschaftliche Leben in Dorsten endlich wieder so wird, wie wir es uns nach der Corona-Pandemie wünschen.
Herr Stockhoff, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.