Wie gefräßige Urzeitechsen fressen sich die Bagger durch Beton und Stahl. Staub wirbelt durch die Luft, und nach und nach verschwindet der ehemalige Wulfener Markt. Bei einem Rundgang mit Projektingenieurin Dagmar Stobbe konnten wir uns von den Herausforderungen des Abriss überzeugen.
„Wir kommen gut voran“, freut sich Dagmar Stobbe. Die erfahrene Ingenieurin ist beim Planungs- und Umweltamt tätig und betreut den Abbruch für die Entwicklungsgesellschaft Wulfen. Bereits in der Vergangenheit war Stobbe für große Abbrucharbeiten zuständig, etwa bei den alten eon-Gebäuden an der Halterner Straße.
Nun steht die Projektingenieurin inmitten der alten Ladenzeile des Wulfener Markts. Wo einst belebte Wohnungen waren und Einkäufer flanierten, stapeln sich nun Berge von Schutt und Schrott. „Das sieht ziemlich wüst aus, aber es hat System“, erklärt Stobbe.
Denn auch, wenn hier für den Laien betrachtet (und nach Schiller zitiert) rohe Kräfte sinnlos zu walten scheinen, erfolgt der Abbruch des alten Gebäudes sehr systematisch. Beim Vor-Ort-Termin erklärte Dagmar Stobbe, welche Herausforderungen es gibt, was noch zu tun ist, und welche Überraschungen der Altbau noch zu bieten hatte.
Die Flügel verschwinden als erstes
Unter lautem Getöse arbeiten sich derzeit vier Bagger mit ihren stählernen Scheren durch die 40 Jahre alte Ladenzeile. Wer den Abbruch nicht täglich verfolgt, könnte durchaus überrascht sein, am Rande des ehemaligen Südflügels wieder reinen dunklen Boden vorzufinden. „Hier sind wir bereits fertig“, erklärt Dagmar Stobbe. Das ehemalige Feld, auf dem einst die Gebäude entstanden, zeigt sich hier erstmals seit Jahrzehnten wieder. Das hat einen großen Vorteil: „Da hier zuvor kein Gebäude oder Industrie stand, haben wir hier auch keine Altlasten im Boden.“ Somit ist auch keine aufwändige Auskofferung oder ein sonstiger Bodenaustausch notwendig. „Sobald das Fundament weg ist, ist die Fläche quasi fertig“, erklärt Stobbe.
Kritische Schadstoffe
Das bedeutet nicht, dass es hier keine Schadstoffe gibt, im Gegenteil. Das Gebäude selbst stellt die Abbruchplaner für einige Herausforderungen. „Wir haben hier zum Beispiel viel Mineralwolle verbaut, die unter Atemschutz entsorgt werden muss“, berichtet die Ingenieurin. Aber gilt Mineralwolle nicht als die bessere Alternative zum gefürchteten Asbest? „Die damals verbaute Mineralwolle hat noch kurze Fasern, die mit dem Abbruch auch noch weiter zerrieben wurden“, erklärt Stobbe. Somit ist die alte Isolierung lungengängig geworden, kann sich also in den Atemwegen festsetzen und krank machen. Moderne Mineralwolle hingegen wird vom Körper einfach abgebaut, wenn sie eingeatmet wird.
Diese Eigenschaft fehlt Asbest bekanntlich völlig. Der Dämmstoff aus Mineralgestein ist berüchtigt für seine krebserzeugenden Fasern, und bereits seit 1993 verboten. In den späten 70er Jahren, als die Ladenpassage gebaut wurde, galt Asbest aber noch als völlig üblicher Baustoff. Dementsprechend wurde er beim Wulfener Markt tonnenweise verbaut. Insbesondere die 133 Wohnungen waren schwer belastet.
Abbruch unter Unterdruck
Damit die gefährlichen Asbestfasern nicht in die Umgebungsluft gelangen, mussten strenge Sicherheitsmaßnahmen angewendet werden. Die Wohnungen wurden abgeklebt und unter Unterdruck gesetzt, damit kein Staub nach außen dringen konnte. Durch Schleusen gelangten die Bauarbeiter in die Räume, um das Asbest abzubauen und in spezielle luftdichte Säcke zu verpacken. „Dazu tragen die Arbeiter Vollschutz, also eine Maske und einen speziellen Anzug“, sagt Dagmar Stobbe. Diese Arbeit sei gerade im Sommer enorm anstrengend. „Maximal 30 Minuten, dann müssen die Männer eine Pause machen und etwas trinken“, so Stobbe.
Entsorgt wird der gefährliche Müll übrigens von einem auswärtigen Spezialunternehmen. Andere Reststoffe, wie etwa Metall oder Zement, können größtenteils wieder aufbereitet werden. „Dazu ist es wichtig, die Stoffe sortenrein zu sortieren“, erläutert die Ingenieurin. So dürften etwa keine organischen Stoffe in den Bauschutt gelangen, wenn dieser als Straßenfundament wiederverwendet werden soll. Dementsprechend gleicht die ehemalige Ladenpassage derzeit einem riesigen Materiallager. Bauholz, Metalle, Schutt, alles liegt in sortierten Haufen zur Abholung bereit.
Tierische Bewohner
Noch lange, nachdem die Menschen in den 2010er Jahren ausgezogen waren, besiedelten Tiere den leeren Wulfener Markt. „Wir hatten hier vor allem Tauben“, erzählt Dagmar Stobbe. Diese hätten mit ihren Exkrementen für ziemliche Arbeit gesorgt, denn der hochinfektiöse Kot musste aufwändig entsorgt werden. Die Tauben selbst wurden aber nicht einfach verjagt oder gar getötet. „Wir standen hier im regen Austausch mit dem Tierschutz“, berichtet die Projektingenieurin. So konnten die Vögel und ihre Nester schonend aus dem Abbruchbereich entfernt werden. Auch andere Arten wie etwa Fledermäuse wurden tiergerecht aus dem Gefahrenbereich gebracht. „Am Ende des Tages können wir aber natürlich die alte Ruine nicht nur für die Tiere stehen lassen“, so Stobbe.
Hitze, Staub und Überraschungen
Zu allen planbaren Herausforderungen kommen bei einem Abbruch auch noch einige Unwägbarkeiten, auf die man erst bei den Bauarbeiten stößt. „Die Fundamentplatte unter dem Gebäude war deutlich dicker, als man es aus den Plänen erwarten konnte“, stellt Dagmar Stobbe fest. „Auch der Estrich war um einiges massiver als erwartet“.
Schwieriger als gedacht erwies sich auch die Umsetzung einer Idee der Architekten. Hans Schmidt-Domogalla und seine Kollegen hatten im Siegerentwurf geplant, einige Stelen und Elemente des Altbaus zu erhalten. Dazu gehörte etwa die „Kleine Neugierde“ des ursprünglichen Architekten Kleihus, die in Form eines kleinen Balkons vorliegt. „Unsere Arbeiter sind nicht sicher, ob das so klappt“, räumt Stobbe ein. Beim Abbau könnten diese Elemente auch einfach zerbrechen. Vermutlich kann man aber einige Stelen für den Park wieder aufbauen.
Doch nicht nur im Inneren des alten Gebäudes müssen sich die Arbeiter immer wieder auf neue Gegebenheiten einstellen. So macht das Wetter derzeit einige Schwierigkeiten. „Wir haben die seltene Kombination aus sommerlicher Hitze und Wind“, so die Ingenieurin. „Deswegen müssen wir sehr viel Wasser einsetzen, um den aufwirbelnden Staub zu binden“. Das Wasser dringt dabei übrigens nicht in den Boden ein, sondern verdunstet schnell. Der Rest wird dann vom Bauschutt aufgefangen und gebunden.
Dann wird es fertig
Und wann ist das Mammutprojekt fertig? Dagmar Stobbe ist da optimistisch. „Die groben Abbrucharbeiten werden Ende September abgeschlossen sein“, plant sie. Dann müssten noch Aufbereitungsarbeiten durchgeführt werden, so dass der gesamte Abriss vermutlich kurz vor Weihnachten 2023 beendet sein könnte.
Bis aber die ersten neuen Gebäude stehen, kann es eine Weile dauern. „Wir bereiten alles für die Investoren vor, die dann in Ruhe das Gelände entwickeln können. In der Zwischenzeit soll die Brache aber durch einen Zaun abgesperrt bleiben. „Schließlich möchten wir nicht, dass sich hier noch eine wilde Müllkippe entwickelt“, mahnt Dagmar Stobbe. Das wäre angesichts der großen Bemühungen zur Entsorgung der Altlasten ja auch mehr als ärgerlich.