Einst Symbol des Fortschritts und technologischen Aufbruchs, wurde der Dorstener Bahnhof lange Zeit stiefmütterlich behandelt. Das ist zum Glück vorbei: Nun darf das alte Gemäuer als „Bürgerbahnhof“ wieder im neuen Glanz erstrahlen. Dabei kann der Bahnhof Dorsten auf eine 145-jährige Geschichte zurück blicken. Und wie so oft im Ruhrgebiet, spielte die Kohle hier eine entscheidende Rolle.
Die nahen Niederlanden hatten den Boom des Ruhrgebietes im 19. Jahrhundert genau beobachtet und waren sehr an der hier im Überfluss geförderten Steinkohle interessiert. Schon bald konnte die Binnenschifffahrt alleine die benötigten Mengen nicht mehr liefern, und die Planungen für eine Eisenbahnlinie wurden immer konkreter. Eine geplante Station der Niederländisch-Westfälische Eisenbahn-Gesellschaft sollte Dorsten werden. Von hier aus sollte Kohle nach Westen rollen, während die Züge auf dem Rückweg landwirtschaftliche Produkte aus den Niederlanden mitbrachten. Gleichzeitig plante die Rheinischen Eisenbahn-Gesellschaft eine Strecke vom Ruhrgebiet an die Nordsee, die ebenfalls über Dorsten laufen sollte. Also taten sich die beiden Gesellschaften zusammen, um eine gemeinsame Bahnhofsanlage zu planen.
Architekt Paeffgen wollte die Reisenden mit Schönheit erfreuen
Für das repräsentative Empfangsgebäude engagierten die Gesellschaft 1877 den bewährten Architekten Gustav Paeffgen. Der Kölner war ein begeisterter Vertreter des Historismus, der an viele Bahnlinien im Deutschen Reich nicht etwa schnöde Funktionsbauten, sondern kleine „Schlösschen“ stellen ließ. In Dorsten verzichtete er zwar auf Zinnen und gotische Fenster, aber entwarf dennoch einen sehenswerten Bahnhof mit Wartesälen für die zweite und dritte Klasse, einer Gastwirtschaft, Büroräumen und einer Wohnung für den Bahnhofsvorsteher.
Warum die zweite Klasse oft den Zug verpasste
Am 1. Juli 1879 fuhr auf der Westseite der erste Zug der Rheinischen Eisenbahn ein, elf Monate später nahm die Niederländisch-Westfälische Eisenbahn auf der Ostseite den Betrieb auf. 1882 waren bereits die meisten Eisenbahngesellschaften verstaatlicht worden, so dass es keine getrennten Wartesäle mehr für die einzelnen Gesellschaften gab. Das führte zu dem kuriosen Umstand, dass die Passagiere der zweiten Klasse von ihrem Saal aus nicht mehr auf die Gleise schauen konnten und so mancher seinen Zug verpasste. Eine Glocke löste schließlich dieses Problem.
Anbau, Umbau, Rückbau
Der Bahnhof Dorsten wurde in seiner Geschichte mehrfach umgebaut und ergänzt. So kam 1904 ein Stellwerkgebäude nördlich des Bahnhofs hinzu, und 1912 ein weiteres im Süden. Im gleichen Jahr erhielt das Stationsgebäude einen Anbau mit Walmdach.
Auch die Gleisanlagen wurden mehrfach umgestaltet. Weitere Gleise wurden ergänzt oder überflüssige abgebaut, so dass der Bahnhof vor dem Zweiten Weltkrieg über acht Gleisstrecken und umfangreiche Gleisanlagen verfügte. Diese wurden ab den 1970er Jahren wieder teilweise stillgelegt und abgebaut.
Nach dem Krieg fehlten die Brücken
Den Zweiten Weltkrieg überstand der Bahnhof, im Gegensatz zu großen Teilen der Altstadt, weitestgehend unbeschadet. Da allerdings die Brücken zerstört waren, konnte der Betrieb erst 1948 wieder beginnen.
Der Verfall
1985 wurde das Bahnhofsgebäude noch einmal saniert. Allerdings stand das Gebäude nur wenige Jahre später leer. Seit dem Ende der 1980er Jahre verfiel es zunehmend. Die Bahnsteige wurden weiterhin genutzt, aber das Stationsgebäude blieb verschlossen. Graffiti, bröckelnde Farbe und Unkraut setzten der Fassade immer mehr zu. Zwischenzeitlich wurde immer wieder der Abriss des “Schandflecks” gefordert. Da das Gebäude aber 1989 unter Denkmalschutz gestellt worden war, blieb der Abrissbagger fern.
Neues Leben als Bürgerbahnhof
Statt der Abrissbirne wartet auf den Bahnhof nun eine neue Epoche in seiner Geschichte. 2015 wurde die Stadt Dorsten in das Förderprogramm “Starke Quartiere – Starke Menschen” aufgenommen. Das ermöglichte einen umfassenden Umbau der Innenstadt. Die Umgestaltung des lange Jahre leerstehenden und verfallenden Gebäudes und seines heruntergekommenen Umfeldes war dabei das größte und teuerste Projekt im Stadterneuerungsprogramm „Wir machen MITte“.
Das Bahnhofsumfeld wurde komplett umgebaut und bietet nun einen barrierefreien Zugang. Im neuen Bürgerbahnhof Dorsten wird die Dorstener Arbeit eine Gastronomie betreiben. Die Mitarbeiter gehören damit ebenso zur neuen „Bahnhofsfamilie“, wie zahlreiche andere ehrenamtliche Akteure, die das alte Stationsgebäude lebendig machen.
Im Januar 2024, zwei Jahre später als geplant, ist der Umbau des Bahnhofs abgeschlossen. Den Abschluss will die Stadt nun in einer zehntägigen „Festwoche“ mit zahlreichen Aktionen feiern.